Thursday, 1 April 2010

Kapitel 101 bis 108


Die Welt lebt durch Güte
Die indische Spruchweisheit des «Tirukkural»
Aus dem Tamil übersetzt von: Albrecht Frenz und K. Lalithambal

Kapitel 101. Wertloser Reichtum
1001.       
Wer daheim einen großen Reichtum ansammelt, ohne ihn zu gebrauchen, ist wie ein Toter, der ihn nicht nutzt.
1002.       
Die Verblendung des Geizes und der Gedanke, daß Reichtum alles bringt, führt zu einer jämmerlichen Geburt.
1003.       
Leute, die nur aufs Verdienen aus sind und keinen Ruhm begehren - ihre Geburt ist eine Last für die Erde.
1004.       
Was hat er mit seinem Vermächtnis vor - will er zurücklassen, was niemand haben möchte?
1005.       
Wer nicht gibt und damit nicht erfreut, hat nichts, auch wenn er viele Millionen besitzt.
1006.       
Wer sich nicht erfreut und den Sinn nicht hat, Bedürftigen zu geben, ist eine Krankheit für die große Welt.
1007.       
Der Reichtum dessen, der den Armen nichts gibt, ist wie eine schöne Frau, die allein bleibt und alt wird.
1008.       
Der Reichtum dessen, der nicht von anderen geliebt wird, ist wie der Baum, der giftige Früchte mitten im Ort trägt.
1009.       
Fremde gewinnen den großen Reichtum, der ohne jegliche Liebe, eigene Behaglichkeit und dharma erworben wurde.
1010.
Die kurz dauernde Armut der ruhmreich Reichen ist gleich den Wolken, die arm werden.

Kapitel 102. Besitz von Scham

1011.       
Wahre Scham ist: sich übler Taten zu schämen -alles andere Schamgefühl gehört zu den Frauen mit einer schönen Stirn.

1012.       
Nahrung, Kleidung und anderes unterscheiden sich nicht für alle Wesen - der Besitz der Scham ist ein besonderer Wesenszug guter Leute.

1013.       
Wie das Leben im Körper lebt, so lebt die Vollkommenheit in der wahten Ausgezeichnetheit der Scham.

1014.       
Ist die Scham nicht ein Schmuck der Ausgezeichneten? - Ohne sie würde ihr Stolz andere verletzen.

1015.       
Wer sich für sich selbst und andere vor Schande fürchtet, wird von der Welt für schamvoll gehalten.

1016.       
Große besitzen nicht die weite Welt, haben aber die Scham als ihre Schranke.

1017.       
Wer den Sinn für Scham besitzt, entsagt dem Leben um der Scham willen, nicht aber der Scham um des Lebens willen.

1018.       
Tut einer schamlos das, worüber sich andere schämen, schämt sich der dharma über ihn.

1019.       
Ein Fehler im Benehmen schadet der Ausgezeichnetheit - fehlt einem der Sinn für Scham, ist ihm alles verdorben.

1020.       
Wer ohne jeden Sinn für Scham handelt, ist wie eine hölzerne Puppe, die mit Faden in Bewegung gesetzt wird.

Kapitel 103. Die Weise des Familienunterhalts

1021.       
Nichts ist größer als die Größe dessen, von dem gesagt wird: Er laßt nicht nach in seinen Bemühungen, seine Familie hochzubringen.

1022.       
Die Familie wird hochgebracht im beständigen Zusammenspiel dieser beiden: Streben und gutes Wissen.

1023.       
Die Gottheit eilt mit geschürzten Gewändern herbei zu dem, der sich dem Hochbringen seiner Familie widmet.

1024.       
Ohne viel Überlegung zeitigen die Bemühungen Früchte denen, die unermüdlich streben, ihre Familie hochzubringen.

1025.       
Den umgibt die Welt als Freund, der seine Familie untadelig hochbringt.

1026.       
Wahre Männlichkeit ist, sich selbst zum Wohltäter der Familie seiner Geburt zu machen.

1027.       
Wie auf dem Mächtigen im Schlachtfeld, so ruht die Last der Familie auf dem Tüchtigen.

1028.       
Es gibt keine Jahreszeiten für den, der die Familie hochbringt - Trägheit und Überlegung aus falschem Ehrgeiz bringen Verderben.

1029.       
Wer seine Familie gegen Übel abschirmt – ist dessen Körper ein Gefäß für Kümmernisse?

1030.       
Bei einem Unglücksschlag wird die Familie an der Wurzel getroffen, die von keiner angesehenen Person gestützt wird.

Kapitel 104. Landwirtschaft

1031.       
Obwohl die Welt rastlos umherschweift, geht sie hinter dem Pflug - darum ist das Bauernleben trotz seiner Härten das beste.

1032.       
Die Bauern sind der Radzapfen den Leuten in der Welt - sie erhalten dies die nicht pflügen können.

1033.       
Wer vom Pflug lebt, lebt wirklich - alle übrigen folgen, verehren und essen.

1034.       
Wer den Schatten des Korns hat, bringt Länder verschiedener Schalten unter seinen eigenen.

1035.       
Wer nur die Nahrung ißt, die er mit eigenen Händen erzeugt, bettelt nicht und gibt dem Bettler, ohne zurückzuhalten.

1036.       
Legen die Pflüger ihre Hände in den Schoß, geht sogar der Stand derer zugrunde, die ihren Wünschen entsagen.

1037.       
Macht die Erde nur ein Viertel ihres Volumens aus, wenn sie ausgetrocknet ist, bringt sie Ertrag sogar ohne eine Hand voll Dünger.

1038.       
Zu düngen ist besser, als zu pflügen - nach dem Jäten von Unkraut ist Bewachen besser als Wässern.

1039.       
Geht der Besitzer nicht regelmäßig auf sein Land, schmollt und wirft sich das Land auf wie eine Frau.

1040.       
Die gute Göttin des Landes lacht über die immer Trägen, die ihre Armut betrauern.

Kapitel 105. Armut

1041.       
Fragt man, was schmerzlicher ist als Armut -Armut ist schmerzlicher als Armut.

1042.       
Der Sünder «Armut» kommt und nimmt dieses und das nächste Leben.

1043.       
Das Begehren «Armut» vernichtet Abstammung und Sprache zugleich.

1044.       
Selbst in jenen von hoher Geburt übersteigt Armut erniedrigende Worte und Schwachheit.

1045.       
Das Elend der Armut hat noch weit mehr Elend in seinem Gefolge.

1046.       
Obwohl in Klarheit mit tiefstem Sinn ausgedrückt - die Worte des Armen sind umsonst.

1047.       
Der Arme, der keinen dharma har, wird selbst von seiner Mutter, die ihm das Leben schenkte, als Fremder angesehen.

1048.       
Kommt sie heute auch - die Armut, die mich gestern beinahe tötete?

1049.       
Im Feuer zu schlafen ist möglich - aber inmitten von Armut zu schlafen ist sehr schwierig.

1050.       
Der Arme, der nicht völlig entsagt, gleicht dem Salzen und Bestreuen des Todesgottes.
                                                                                                          
Kapitel 106. Bitten um Almosen

1051.       
Der Arme soll nur bei solchen betteln, die er für geeignet ansieht - halten diese zurück, ist es nicht seine, sondern ihre Schande.

1052.       
Selbst Betteln macht Freude, wenn man ohne Kummer erlangt, worum man bettelt.

1053.       
Wer in seinem Herzen nicht zurückhält und seine Pflicht kennt - vor dem zu stehen und zu betteln, bringt sogar Schönes ein.

1054.       
Wer nicht einmal in Träumen daran denkt zurückzuhalten - den anzubetteln ist gleich Geben.

1055.       
Leute stehen vor einem und betteln, weil es in der Welt solche gibt, die nicht ablehnen.

1056.       
Alles Übel der Armut wird auf einmal zerstört, wenn man den sieht, der das Übel des Zurückhaltens nicht kennt.

1057.       
Trifft man einen, der ohne Beleidigungen gibt, ist man erfreut und jubelt in seinem Herzen.

1058.       
Ohne Bettler ist die große Welt wie eine hölzerne Puppe, die sich hierhin und dorthin bewegt.

1059.       
Welchen Ruhm gäbe es für Gebende, wenn es keine Empfangenden gäbe.

1060.       
Wer bettelt, sollte nie zornig werden – sein Schmerz der Armut ist genug Beweis

Kapitel 107. Furcht vor Betteln

1061.       
Es ist weit besser, nicht zu betteln - auch für den, der ohne Zurückhalten und mit Freude gibt.

1062.       
Sollte jemand vom Betteln leben - laß den Schöpfer der Welt davonziehen und umkommen.

1063.       
Nichts ist härter, als dem Elend der Armut mit Betteln abhelfen zu wollen.

1064.       
Die Größe, nicht zu empfangen, auch wenn keine Mittel vorhanden sind, ist so, daß sie selbst für di Welt zu groß ist, sie zu fassen.

1065.       
Ist es auch nur gekochter Haferschleim wie Wasser - nichts ist erfreulicher, als das zu essen, was man durch Arbeit erworben hat.

1066.       
Ist es auch nur um Wasser für die Kuh - nichts ist erniedrigender für die Zunge als dieses Betteln.

1067.       
Ich flehe alle Bettler an, nicht bei solchen zu betteln, die zurückhalten - auch wenn du selbst betteln solltest.

1068.       
Das hilflose Floß des Betteins bricht durch den Aufschlag am Felsen «Abweisen».

1069.       
Beim Denken ans Betteln schmilzt das Herz – beim Denken ans Zurück hallen bricht es entzwei und läßt nichts zurück.

1070.       
Das Leben des Bettlers flieht beim Wort «nein» - wo verbirgt sich das Leben dessen, der ablehnt?

Kapitel 108. Niedrigkeit

1071.       
Die Niedrigen gleichen menschlichen Wesen – wir haben nie eine solche Ähnlichkeit gesehen.

1072.       
Die Niedrigen sind besser dran als solche, die Wertvolles kennen - sie haben keine Angst in ihrem Geist.

1073.       
Die Niedrigen sind wie die Himmlischen – sie handeln auch, wie es ihnen gefällt.

1074.       
Sehen Niedrige andere Niedrige, freuen sie sich und fühlen sich selbst stolz und groß.

1075.       
Furcht ist Macht für das Verhalten der Niedrigen - abgesehen davon: Ein wenig Gutes kommt aus dem Wunsch nach Gewinn.

1076.       
Die Niedrigen sind wie die Trommel, die geschlagen wird, da sie anderen weitergeben, was sie als Geheimnis hegen.

1077.       
Sie schütteln nicht einmal ihre mit Essen behafteten Finger ab - außer für solche, die ihre geballte Faust zeigen, um ihre Eßschale zu zerbrechen.

1078.       
Die Großen helfen, sobald sie es erfahren – die Niedrigen sind nur nützlich, wenn sie gleich dem Zuckerrohr gedroschen werden.

1079.       
Die Niedrigen finden Fehler bei anderen, wenn sie sehen, daß jene sich an Nahrung und Kleidung erfreuen.

1080.       
Zu was für Handlungen sind Niedrige fähig, außer sich selbst zu verkaufen, wenn Elend sie befällt?

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