Die Welt
lebt durch Güte
Die indische Spruchweisheit des «Tirukkural» Aus dem Tamil übersetzt von: Albrecht Frenz und K. Lalithambal |
I. DHARMA
Kapitel 1. Verehrung Gottes
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1.
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Das „A“ ist der
erste aller Buchstaben – Gott ist der Erste von allem in der Welt.
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2.
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Verehrt jemand
nicht den guten Fuß Dessen, der das reine Wissen ist – was nützt alles
Lernen?
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3.
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Für immer lebt
in der Welt der Freude, wer sich dem glorreichen Fuß Dessen vereint, der in
den blumengleichen Herzen seine Gläubigen wohnt.
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4.
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Keinen Kummer
kennt, wer sich dem Fuß Dessen vereint, der frei von Liebe und Hass ist.
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5.
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Die zweifachen
Taten gehen von der Finsternis der Einbildung aus – sie haften denen nicht
an, die sich des wahren Gottespreises erfreuen.
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6.
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Für immer lebt,
wer auf dem makellosen Weg Dessen bleibt, der ohne das fünffache Verlangen
ist.
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7.
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Frei von seinem
unruhigen Geist ist, wer sich dem Fuß des Unvergleichlichen vereint.
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8.
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Nur wer sich
dem Fuß des Höchsten, dem Ozean des dharma, vereint, durchquert den
Ozean des adharma – andere nicht.
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9.
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So wertlos wie
Sinne ohne Wahrnehmung sind Häupter ohne Verehrung für den Fuß Dessen mit den
acht Attributen.
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10.
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Nur wer sich
dem Fuß Gottes vereint, vermag den mächtigen Ozean der Geburt zu durchqueren
– andere nicht.
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Kapitel 2. Segen spendender Regen
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11.
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Da die Welt vom
Regen lebt, verdiene er „Nektar“ genannt zu werden.
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12.
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Den Essenden
lässt der Regen Nahrung wachsen und ist ihnen Wasser zugleich.
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13.
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Bleibt der
Regen zu erwarteten Zeiten aus, herrscht lange Zeit Hunger in der von Wasser
umgebenen Welt.
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14.
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Fällt zu
wenig Regen, pflügen die Bauern nicht.
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15.
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Ruinieren und
dem Ruinierten zu Hilfe kommen – das alles zugleich bewirkt der Regen.
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16.
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Fällt der Regen
nicht aus der Wolke, sieht man keinen einzigen grünen Grashalm dort.
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17.
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Gibt die Wolke
nicht zurück, was sie nimmt, bleibt sogar der weite Ozean ohne Wasser.
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18.
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Bleibt der
Regen aus, gibt es hier auf Erden selbst für die Himmlischen keine feste und
tägliche Verehrung mehr.
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19.
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Lässt die Wolke
den regen nicht fallen, so gibt es in der weiten Welt keine Freigebigkeit und
keine Buße mehr.
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20.
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Ohne Wasser
kann die Welt nicht überleben – ohne Regen kann keiner ein rechtschaffenes
Leben führen.
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Kapitel 3. Größe
der Asketen
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21.
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Alle heiligen
Schriften lassen sich so zusammenfassen: Das Allergrößte ist die Größe derer,
die in Tugend und Entsagung aller Wünsche fest stehen.
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22.
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Die Größe derer
messen wollen, die entsagen, ist gleich dem Zählen der Toten in der Welt.
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23.
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Die Größe der Entsagenden
ist die höchste in der Welt – sie kennen die Wahrheit über die beiden Leben.
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24.
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Wer seine fünf
Sinne mit der Weisheit Rute beherrscht, ist Same im Feld der Erlösung.
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25.
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Indra, König derer
im weiten Himmel – ein Beispiel ist er für die Macht eines, der seine fünf
Sinne beherrscht.
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26.
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Groß ist, wer
schwierige Taten tut – niedrig ist, wer keine schwierigen taten tut.
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27.
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Bescheid über diese
Welt weiß, wer die wahre Natur des Schmeckens, Sehens, Berührens, Hörens und
Riechens kennt.
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28.
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Die
wirkungsvolle Aussprache der Männer mit dem mystischen Wort zeigt ihre Größe
auf Erden.
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29.
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Selbst für
solche, die auf dem Berg der Tugend stehen, ist es schwierig, ihren Zorn auch
nur für einen Augenblick zu beherrschen.
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30.
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Die Gütigen
leben ihrem dharma gemäß – sie zeigen ihre Freundlichkeit allem
Lebendigen in der Welt.
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Kapitel 4.
Hervorheben der Stärke des dharma
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31.
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Gibt es für den
Menschen einen größeren Gewinn als dharma? – er bringt beides ein: Himmel und
Reichtum.
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32.
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Es gibt keinen anderen
Reichtum als dharma – es gibt keinen größeren Mangel, als ihn zu vergessen.
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33.
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Gemäß deiner
Fähigkeit übe ununterbrochen dharma, wo und wann immer es möglich ist.
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34.
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Rein sein im Geist
ist der ganze dharma – alles andere ist nur Getue.
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35.
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Eifersucht,
Gier, Zorn und harte Rede – sich davon fernhalten ist dharma.
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36.
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Übe dharma, schiebe
ihn nicht bis zum letzten auf – er ist die unsterbliche Hilfe in der
Todesstunde.
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37.
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Die Früchte des
dharma brauchen nicht beschrieben zu werden; sie zeigen sich beim bloßen
Anblick des Sänftenträgers und des Insassen.
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38.
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Übt jemand
dharma, ohne auch nur einen Tag auszulassen, wird er zum Stein, der die
Geburten abblockt.
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39.
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Nur was aus
dharma kommt, ist wahre Freude – anderes nicht, denn es ist ohne Lobpreis.
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40.
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Was einer tun soll,
ist dharma – was nicht, ist adharma.
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Kapitel 5.
Familienleben
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41.
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Der Hausherr
ist der beständige Unterhalt für alle „drei“ auf ihrem jeweiligen Pfad der
Rechtschaffenheit.
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42.
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Der Hausherr ist
der Unterhalt für die Asketen, die Armen und die Toten.
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43.
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Höchste Pflicht
ist, den fünf Wesen zu dienen: Geistern, Gott, den Gästen, den Angehörigen
und dem eigenen Selbst.
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44.
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Wer sich beim Erwerb
vor Schlechtem hütet und sein Brot teilt, dessen Nachkommenschaft soll
niemals aufhören.
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45.
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Hat das
Familienleben Liebe und dharma, dann sind beide seine Eigenschaft und sein
Lohn.
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46.
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Vermag einer das
Familienleben in seinem dharma zu führen – was kann er dann in anderen
Lebensformen gewinnen?
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47.
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Der Größte
aller, die es im Leben versuchen, ist, wer das Familienleben seinem dharma
gemäß führt.
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48.
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Mehr als alle Büßer
erduldet das Familienleben, das seinem dharma folgt und auch andere auf den
richtigen Pfad führt.
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49.
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Dharma
ist Familienleben – aber auch eine andere Lebensform ist gut, wenn andere sie
nicht tadeln können.
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50.
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Wer auf Erden
das Familienleben in seinem dharma übt, wird als Herr unter den Himmlischen
angesehen.
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Kapitel 6. Wert der
Hilfe im Familienleben
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51.
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Sie ist die
Hilfe des Familienlebens, die seine Tugenden besitzt und vom Einkommen des
Mannes lebt.
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52.
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Wertlos ist das
Leben – fehlen der Frau die Tugenden des Familienlebens, und mag sie auch
noch so viele Vorzüge haben.
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53.
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Ist die Frau
tugendhaft – was fehlt? Ist die Frau nicht tugendhaft – was ist da?
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54.
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Ist die Frau
fest in ihrer Keuschheit – was ist wertvoller?
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55.
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Sie wacht auf
und verehrt keinen Gott außer ihren Mann – und auf ihre Worte hin vermag es
zu regnen.
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56.
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Die Frau hütet
ihre Keuschheit, dient ihrem Mann, bewahrt den guten Ruf und ist unermüdlich.
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57.
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Was hilft es,
eine Frau wie in einem Gefängnis zu bewahren – am besten ist, dass sie ihre
Keuschheit selbst bewahrt.
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58.
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Verehrt sie
den, der sie geheiratet hat, wird der Frau große Ehre in der Welt der Götter
zuteil.
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59.
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Wer keine Frau
mit gutem Ruf hat, kann vor solchen, die schlecht von ihm reden, nicht wie
ein Löwe einhergehen.
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60.
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Die Tugend der
Frau ist ihre Güte – gute Kinder sind ihr Schmuck.
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Kapitel 7. Segen der
Kinder
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61.
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Keinen Segen
halten wir für größer als den der Kinder voll Weisheit.
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62.
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In allen sieben
Geburten berührt kein Übel den, der Kinder mit untadeligem Charakter hat.
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63
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Kinder sind
eines Mannes Reichtum – dieser kommt zu ihm durch seine eigenen Taten.
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64
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Süßer als
Nektar ist der Brei, in dem das Kind mit seinen Händchen gespielt hat.
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65
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Seine Kinder zu
berühren ist dem Körper eine Freude – ihre Worte sind den Ohren eine Freude.
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66
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Wer nie die
brabbelnden Worte seiner Kinder gehört hat, sagt „Süß klingt die Flöte, süß
klingt die Vina.
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67
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Macht ein Vater
seinen Sohn zu einem der Ersten in der Versammlung der Gelehrten, ist dies
das Beste, was er für ihn tun kann.
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68
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Der Kinder Weisheit
erfreut alles Lebendige auf der großen Erde, mehr als die eigenen Eltern.
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69
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Hört eine
Mutter über ihren Sohn, dass er vollkommen genannt wird, freut sie sich mehr
über ihn als im Augenblick seiner Geburt.
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70
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Der Sohn kann seinem
Vater keinen größeren Dienst tun, als so zu handeln, dass andere sagen:
Welche Buße übte sein Vater!.
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Kapitel Chapter 8. Besitz der Liebe
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71.
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Könnte man
Liebe verriegeln – der Liebenden Tränen brächte sie hervor.
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72.
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Lieblose
besitzen alles für sich – Liebende überlassen selbst ihre Gebeine anderen.
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73.
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Sinn der
Verbindung zwischen Seele und Körper ist die Erfahrung der Liebe.
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74.
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Liebe zeitigt
gute Wünsche und Freundschaft von unermessbarer Vortrefflichkeit.
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75.
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Was einer an
irdischer und himmlischer Freude empfängt, wird für die Frucht eines Lebens
voll Liebe angesehen.
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76.
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Unwissende
sagen, Liebe sei nur eine Hilfe des dharma – sie hilft jedoch auch aus
dem adharma heraus.
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77.
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Die Sonne
verbrennt alles Beinlose – der dharma die Lieblosen.
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78.
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Hat jemand
keine Liebe im Geist, ist sein Leben wie das Blühen eines saftlosen Baumes in
der heißen Wüste.
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79.
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Was nützen die
äußeren Organe denen, die keine Liebe im Inneren haben?
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80.
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Ist Liebe im
Körper, so hat er auch Seele – Lieblosen ist er bloß mit Haut bedecktes
Gebein.
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Kapitel 9. Gastfreundschaft
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81.
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Hausherr sein
und Wohlstand aufbauen dient nur dazu, den Gast zu versorgen und ihm zu
helfen.
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82.
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Handelte es
sich selbst um unsterblichen Nektar - keiner sollte ihn allein genießen und
den Gast davon ausschließen.
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83.
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Wer jeden Tag
die ankommenden Gäste speist, dessen Leben geht nicht in Armut zugrunde.
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84.
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Wer mit
fröhlichem Gesicht seinen Gast versorgt - in dessen Haus wohnt die Göttin des
Wohlstands (Lakshmi) gern.
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85.
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Wer seine Gäste
speist und dann die Überbleibsel isst - muss der sein Feld einsäen?
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86.
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Wer seine
angekommenen Gäste versorgt und auf neu ankommende wartet, ist auch den
Himmlischen ein willkommener Gast.
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87.
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Gäste versorgen
bringt unmessbaren Gewinn - sein einziges Maß ist das gute Wesen der Gäste.
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88.
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Wer seine Gäste
nicht aufopfernd versorgt, mag klagen: „Es ist eine Plagerei“, und einen
Reichtum für sich behalten - nichts hat er, worauf er sich stützen kann.
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89.
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Keine
großzügige Gastfreundschaft zu zeigen ist bloße Armut - diese Dummheit findet
man nur bei Unvernünftigen.
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90.
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Beriecht man
die Anichablume, verwelkt sie - so ist es auch mit Gästen, denen man mit
ausdruckslosem Blick begegnet.
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Kapitel 10. Freundliche Worte
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91.
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Freundliche Worte sind voll Liebe, frei von
Falschheit und kommen aus dem Mund der Tugendhaften.
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92.
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Ein fröhliches Gesicht und freundliche Worte
sind besser als ein mit Freude gegebenes Geschenk.
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93.
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Das ist dharma:
Begrüßen mit einem fröhlichen Gesicht und herzlich und freundlich sprechen.
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94.
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Wer erfreuende
und freundliche Worte zu jedem spricht, zu dem kommt niemals Armut mit
Kummer.
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95.
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Höfliches Benehmen und freundliche Worte sind
jemandes Schmuckstücke - nichts anderes.
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96.
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Spricht jemand freundliche Worte und sucht das
Gute, wird sein adharma weniger und sein dharma mehr.
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97.
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Freundliche Worte, die anderen Gutes tun, geben
Freude in diesem Leben und dharma für die nächste Geburt.
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98.
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Freundliche
Worte frei von Niedrigkeit bringen Freude in dieser und in der nächsten Welt.
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99.
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Findet jemand
Freude in freundlich zu ihm gesprochenen Worten - warum sagt er dann selbst
harte Worte?
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100.
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Harte Worte auszusprechen, wenn es freundliche gibt,
ist wie unreife Früchte zu essen, wenn es reife gibt.
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