Thursday, 1 April 2010

Kapitel 1 bis 10


Die Welt lebt durch Güte
Die indische Spruchweisheit des «Tirukkural»
Aus dem Tamil übersetzt von: Albrecht Frenz und K. Lalithambal

I. DHARMA

Kapitel 1. Verehrung Gottes
1.       
Das „A“ ist der erste aller Buchstaben – Gott ist der Erste von allem in der Welt.
2.       
Verehrt jemand nicht den guten Fuß Dessen, der das reine Wissen ist – was nützt alles Lernen?
3.       
Für immer lebt in der Welt der Freude, wer sich dem glorreichen Fuß Dessen vereint, der in den blumengleichen Herzen seine Gläubigen wohnt.
4.       
Keinen Kummer kennt, wer sich dem Fuß Dessen vereint, der frei von Liebe und Hass ist.
5.       
Die zweifachen Taten gehen von der Finsternis der Einbildung aus – sie haften denen nicht an, die sich des wahren Gottespreises erfreuen.
6.       
Für immer lebt, wer auf dem makellosen Weg Dessen bleibt, der ohne das fünffache Verlangen ist.
7.       
Frei von seinem unruhigen Geist ist, wer sich dem Fuß des Unvergleichlichen vereint.
8.       
Nur wer sich dem Fuß des Höchsten, dem Ozean des dharma, vereint, durchquert den Ozean des adharma – andere nicht.
9.       
So wertlos wie Sinne ohne Wahrnehmung sind Häupter ohne Verehrung für den Fuß Dessen mit den acht Attributen.
10.   
Nur wer sich dem Fuß Gottes vereint, vermag den mächtigen Ozean der Geburt zu durchqueren – andere nicht.

Kapitel 2. Segen spendender Regen


11.   
Da die Welt vom Regen lebt, verdiene er „Nektar“ genannt zu werden.


12.   
Den Essenden lässt der Regen Nahrung wachsen und ist ihnen Wasser zugleich.


13.   
Bleibt der Regen zu erwarteten Zeiten aus, herrscht lange Zeit Hunger in der von Wasser umgebenen Welt.


14.   
 Fällt zu wenig Regen, pflügen die Bauern nicht.


15.   
Ruinieren und dem Ruinierten zu Hilfe kommen – das alles zugleich bewirkt der Regen.


16.   
Fällt der Regen nicht aus der Wolke, sieht man keinen einzigen grünen Grashalm dort.


17.   
Gibt die Wolke nicht zurück, was sie nimmt, bleibt sogar der weite Ozean ohne Wasser.


18.   
Bleibt der Regen aus, gibt es hier auf Erden selbst für die Himmlischen keine feste und tägliche Verehrung mehr.


19.   
Lässt die Wolke den regen nicht fallen, so gibt es in der weiten Welt keine Freigebigkeit und keine Buße mehr.


20.   
Ohne Wasser kann die Welt nicht überleben – ohne Regen kann keiner ein rechtschaffenes Leben führen.

Kapitel 3. Größe der Asketen


21.
Alle heiligen Schriften lassen sich so zusammenfassen: Das Allergrößte ist die Größe derer, die in Tugend und Entsagung aller Wünsche fest stehen.


22.
Die Größe derer messen wollen, die entsagen, ist gleich dem Zählen der Toten in der Welt.


23.
Die Größe der Entsagenden ist die höchste in der Welt – sie kennen die Wahrheit über die beiden Leben.


24.
Wer seine fünf Sinne mit der Weisheit Rute beherrscht, ist Same im Feld der Erlösung.


25.
Indra, König derer im weiten Himmel – ein Beispiel ist er für die Macht eines, der seine fünf Sinne beherrscht.


26.
Groß ist, wer schwierige Taten tut – niedrig ist, wer keine schwierigen taten tut.


27.
Bescheid über diese Welt weiß, wer die wahre Natur des Schmeckens, Sehens, Berührens, Hörens und Riechens kennt.


28.
Die wirkungsvolle Aussprache der Männer mit dem mystischen Wort zeigt ihre Größe auf Erden.


29.
 Selbst für solche, die auf dem Berg der Tugend stehen, ist es schwierig, ihren Zorn auch nur für einen Augenblick zu beherrschen.


30.
Die Gütigen leben ihrem dharma gemäß – sie zeigen ihre Freundlichkeit allem Lebendigen in der Welt.

Kapitel 4. Hervorheben der Stärke des dharma


31.
Gibt es für den Menschen einen größeren Gewinn als dharma? – er bringt beides ein: Himmel und Reichtum.


32.
Es gibt keinen anderen Reichtum als dharma – es gibt keinen größeren Mangel, als ihn zu vergessen.


33.
Gemäß deiner Fähigkeit übe ununterbrochen dharma, wo und wann immer es möglich ist.


34.
Rein sein im Geist ist der ganze dharma – alles andere ist nur Getue.


35.
 Eifersucht, Gier, Zorn und harte Rede – sich davon fernhalten ist dharma.


36.
Übe dharma, schiebe ihn nicht bis zum letzten auf – er ist die unsterbliche Hilfe in der Todesstunde.


37.
Die Früchte des dharma brauchen nicht beschrieben zu werden; sie zeigen sich beim bloßen Anblick des Sänftenträgers und des Insassen.


38.
Übt jemand dharma, ohne auch nur einen Tag auszulassen, wird er zum Stein, der die Geburten abblockt.


39.
Nur was aus dharma kommt, ist wahre Freude – anderes nicht, denn es ist ohne Lobpreis.


40.
Was einer tun soll, ist dharma – was nicht, ist adharma.

Kapitel 5. Familienleben


41.
Der Hausherr ist der beständige Unterhalt für alle „drei“ auf ihrem jeweiligen Pfad der Rechtschaffenheit.


42.   
Der Hausherr ist der Unterhalt für die Asketen, die Armen und die Toten.


43.    
Höchste Pflicht ist, den fünf Wesen zu dienen: Geistern, Gott, den Gästen, den Angehörigen und dem eigenen Selbst.


44.    
Wer sich beim Erwerb vor Schlechtem hütet und sein Brot teilt, dessen Nachkommenschaft soll niemals aufhören.


45.   
Hat das Familienleben Liebe und dharma, dann sind beide seine Eigenschaft und sein Lohn.


46.    
Vermag einer das Familienleben in seinem dharma zu führen – was kann er dann in anderen Lebensformen gewinnen?


47.
Der Größte aller, die es im Leben versuchen, ist, wer das Familienleben seinem dharma gemäß führt.


48.
Mehr als alle Büßer erduldet das Familienleben, das seinem dharma folgt und auch andere auf den richtigen Pfad führt.


49.   
 Dharma ist Familienleben – aber auch eine andere Lebensform ist gut, wenn andere sie nicht tadeln können.


50.    
Wer auf Erden das Familienleben in seinem dharma übt, wird als Herr unter den Himmlischen angesehen.

Kapitel 6. Wert der Hilfe im Familienleben


51.
Sie ist die Hilfe des Familienlebens, die seine Tugenden besitzt und vom Einkommen des Mannes lebt.


52.
Wertlos ist das Leben – fehlen der Frau die Tugenden des Familienlebens, und mag sie auch noch so viele Vorzüge haben.


53.
Ist die Frau tugendhaft – was fehlt? Ist die Frau nicht tugendhaft – was ist da?


54.
Ist die Frau fest in ihrer Keuschheit – was ist wertvoller?


55.
Sie wacht auf und verehrt keinen Gott außer ihren Mann – und auf ihre Worte hin vermag es zu regnen.


56.
Die Frau hütet ihre Keuschheit, dient ihrem Mann, bewahrt den guten Ruf und ist unermüdlich.


57.
Was hilft es, eine Frau wie in einem Gefängnis zu bewahren – am besten ist, dass sie ihre Keuschheit selbst bewahrt.


58.
Verehrt sie den, der sie geheiratet hat, wird der Frau große Ehre in der Welt der Götter zuteil.


59.
Wer keine Frau mit gutem Ruf hat, kann vor solchen, die schlecht von ihm reden, nicht wie ein Löwe einhergehen.


60.
Die Tugend der Frau ist ihre Güte – gute Kinder sind ihr Schmuck.

Kapitel 7. Segen der Kinder
61.
Keinen Segen halten wir für größer als den der Kinder voll Weisheit.
62.
In allen sieben Geburten berührt kein Übel den, der Kinder mit untadeligem Charakter hat.
63
Kinder sind eines Mannes Reichtum – dieser kommt zu ihm durch seine eigenen Taten.
64
Süßer als Nektar ist der Brei, in dem das Kind mit seinen Händchen gespielt hat.
65
Seine Kinder zu berühren ist dem Körper eine Freude – ihre Worte sind den Ohren eine Freude.
66
Wer nie die brabbelnden Worte seiner Kinder gehört hat, sagt „Süß klingt die Flöte, süß klingt die Vina.
67
Macht ein Vater seinen Sohn zu einem der Ersten in der Versammlung der Gelehrten, ist dies das Beste, was er für ihn tun kann.
68
Der Kinder Weisheit erfreut alles Lebendige auf der großen Erde, mehr als die eigenen Eltern.
69
Hört eine Mutter über ihren Sohn, dass er vollkommen genannt wird, freut sie sich mehr über ihn als im Augenblick seiner Geburt.
70
Der Sohn kann seinem Vater keinen größeren Dienst tun, als so zu handeln, dass andere sagen: Welche Buße übte sein Vater!.

Kapitel Chapter 8. Besitz der Liebe

71.   
Könnte man Liebe verriegeln – der Liebenden Tränen brächte sie hervor.


72.   
Lieblose besitzen alles für sich – Liebende überlassen selbst ihre Gebeine anderen.


73.   
Sinn der Verbindung zwischen Seele und Körper ist die Erfahrung der Liebe.


74.   
Liebe zeitigt gute Wünsche und Freundschaft von unermessbarer Vortrefflichkeit.


75.   
Was einer an irdischer und himmlischer Freude empfängt, wird für die Frucht eines Lebens voll Liebe angesehen.


76.   
Unwissende sagen, Liebe sei nur eine Hilfe des dharma – sie hilft jedoch auch aus dem adharma heraus.


77.   
Die Sonne verbrennt alles Beinlose – der dharma die Lieblosen.


78.   
Hat jemand keine Liebe im Geist, ist sein Leben wie das Blühen eines saftlosen Baumes in der heißen Wüste.


79.   
Was nützen die äußeren Organe denen, die keine Liebe im Inneren haben?


80.   
Ist Liebe im Körper, so hat er auch Seele – Lieblosen ist er bloß mit Haut bedecktes Gebein.

Kapitel 9. Gastfreundschaft

81.   
Hausherr sein und Wohlstand aufbauen dient nur dazu, den Gast zu versorgen und ihm zu helfen.


82.   
Handelte es sich selbst um unsterblichen Nektar - keiner sollte ihn allein genießen und den Gast davon ausschließen.


83.   
Wer jeden Tag die ankommenden Gäste speist, dessen Leben geht nicht in Armut zugrunde.


84.   
Wer mit fröhlichem Gesicht seinen Gast versorgt - in dessen Haus wohnt die Göttin des Wohlstands (Lakshmi) gern.


85.   
Wer seine Gäste speist und dann die Überbleibsel isst - muss der sein Feld einsäen?


86.   
Wer seine angekommenen Gäste versorgt und auf neu ankommende wartet, ist auch den Himmlischen ein willkommener Gast.


87.   
Gäste versorgen bringt unmessbaren Gewinn - sein einziges Maß ist das gute Wesen der Gäste.


88.   
Wer seine Gäste nicht aufopfernd versorgt, mag klagen: „Es ist eine Plagerei“, und einen Reichtum für sich behalten - nichts hat er, worauf er sich stützen kann.


89.   
Keine großzügige Gastfreundschaft zu zeigen ist bloße Armut - diese Dummheit findet man nur bei Unvernünftigen.


90.   
Beriecht man die Anichablume, verwelkt sie - so ist es auch mit Gästen, denen man mit ausdruckslosem Blick begegnet.

Kapitel 10. Freundliche Worte

91.   
Freundliche Worte sind voll Liebe, frei von Falschheit und kommen aus dem Mund der Tugendhaften.


92.   
Ein fröhliches Gesicht und freundliche Worte sind besser als ein mit Freude gegebenes Geschenk.


93.   
Das ist dharma: Begrüßen mit einem fröhlichen Gesicht und herzlich und freundlich sprechen.


94.   
Wer erfreuende und freundliche Worte zu jedem spricht, zu dem kommt niemals Armut mit Kummer.


95.   
Höfliches Benehmen und freundliche Worte sind jemandes Schmuckstücke - nichts anderes.


96.   
Spricht jemand freundliche Worte und sucht das Gute, wird sein adharma weniger und sein dharma mehr.


97.   
Freundliche Worte, die anderen Gutes tun, geben Freude in diesem Leben und dharma für die nächste Geburt.


98.   
Freundliche Worte frei von Niedrigkeit bringen Freude in dieser und in der nächsten Welt.


99.   
Findet jemand Freude in freundlich zu ihm gesprochenen Worten - warum sagt er dann selbst harte Worte?


100.
Harte Worte auszusprechen, wenn es freundliche gibt, ist wie unreife Früchte zu essen, wenn es reife gibt.

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