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Die Welt
  lebt durch Güte Die indische Spruchweisheit des «Tirukkural» Aus dem Tamil übersetzt von: Albrecht Frenz und K. Lalithambal | 
III. LIEBE
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Kapitel 109. Verwirrung durch eine Schönheit | |
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1081.        | 
Ist sie mit den kostbaren Ohrringen eine Himmlische, eine seltene Pfauenhenne, eine Frau menschlicher Art? - Meine Gedanken sind verwirrt.  | 
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1082.        | 
Gibt diese
  Schönheit meinen Blick zurück, ist sie gleich
  einer kämpferischen Himmlischen, die kommt, um mit einer Armee
  anzugreifen. | 
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1083.        | 
Ich kannte die
  Gestalt des Todes nicht - nun weiß ich, er hat weibliche Tugenden und
  kämpferische Augen. | 
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1084.        | 
Im Gegensatz
  zum weiblichen Scharm stehen die Augen, die
  das Leben derer zu trinken scheinen, die sie ansehen. | 
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1085.        | 
Ist es der Tod, das Auge oder ein Reh? - Alle diese drei erscheinen in den Blicken der guten Frauen. | 
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1086.        | 
Wären ihre grausamen Augenbrauen nicht gebogen, um ihren Blick zu
  schließen - ihre Augen ließen mich nicht erzittern. | 
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1087.        | 
Der Stoff, der
  den festen Busen dieser Frau bedeckt, gleicht dem Schutz, der das Auge eines
  brunftigen Elefanten bedeckt. | 
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1088.        | 
Meine Macht, sogar vom Feind im Kampf gefürchtet, zerbricht vor ihrer
  leuchtenden Stirn. | 
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1089.        | 
Besitzt sie
  rehgleich zarte Blicke und Scheu – was soll das Tragen anderer Juwelen? | 
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1090. | 
Das erhitzte
  alkoholische Getränk bringt nur dem Betrunkenen Freude - nicht so die Liebe:
  Sie gibt Freude schon beim Ansehen. | 
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Kapitel 110. Kennen der Wissenschaft | |
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1091.     
    | 
In ihren bemalten Augen sind zwei Blicke – der eine verursacht Schmerz, der
  andere ist das Heilmittel. | 
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1092.     
    | 
Der kurze, verstohlene Blick ihrer Augen ist mehr als die halbe
  Liebesfreude. | 
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1093.     
    | 
Sie schaute auf mich, und während sie schaute, beugte sie ihr Haupt - das
  war das Wasser, das sie auf unsere Liebe goß. | 
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1094.       | 
Schaue ich sie an, schaut sie zu Boden - schaue ich sie nicht an, schaut sie mich an und
  lächeltfreundlich. | 
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1095.       | 
Sie schaut mich nicht direkt an, sondern lächelt mit einem Seitenblick. | 
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1096.       | 
Sprechen sie auch wie Feinde miteinander – die Worte der sich Liebenden
  versteht man bald. | 
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1097.     
    | 
Die anscheinend
  harten Worte und die offensichtlich haßvollen Blicke sind Zeichen der sich Liebenden, die sich als Feinde verstellen. | 
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1098.     
    | 
Sehe ich die Freundliche an, lächelt sie freundlich - das ist ihre Schönheit mit
  dem wiegenden Gang. | 
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1099.     
    | 
Nichtssagende
  Blicke gleich Fremden auszutauschen, gehört
  nur zu sich Liebenden. | 
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1100.     
    | 
Stimmt Auge mit
  Auge überein, sind Worte des Mundes
  überflüssig. | 
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Kapitel 111. Freude der Umarmung | |
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1101.     
    | 
Die Freude der fünf Sinne: Gesicht, Gehör, Geschmack, Geruch und
  Berührung findet man nur bei den armbandgeschmückten Mädchen. | 
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1102.     
    | 
Medizin und Krankheit unterscheiden sich gewöhnlich, aber das schöne
  Mädchen ist Krankheit und Heilmittel zugleich. | 
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1103.     
    | 
Ist die Welt des Lotusäugigen so angenehm wie das Schlafen in den
  weichen Armen der Geliebten? | 
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1104.       | 
Woher bekam sie
  das Feuer, das brennt, wenn ich mich
  zurückziehe, und das abkühlt, sobald ich mich nähere? | 
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1105.       | 
Die Schultern des Mädchens mit den blumengeschmückten Locken geben mir so viel Freude wie das unvermittelte Freuen über eine begehrte Sache. | 
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1106.       | 
Die Schultern dieses Mädchens sind wie aus Nektar gemacht - sie erneuern mich
  jedes Mal, wenn ich sie umarme. | 
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1107.     
    | 
Das freudige Glück, das hübsche schöne Mädchen zu umarmen, gleicht der
  Freude, im eigenen Haus zusammen zu wohnen und das Essen mit anderen zu teilen. | 
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1108.     
    | 
Den Liebenden ist es eine Freude, sich so zu umarmen, daß nicht einmal eine Brise durchweht. | 
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1109.     
    | 
Liebesstreit, gut werden und umarmen - das sind die üblichen Gewinne solcher, die sich in Liebe vereinen. | 
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1110.     
    | 
Wie man sich durch Lernen immer mehr seines Unwissens bewußt wird, so
  nimmt meine Liebe jedes Mal zu, wenn ich sie umarme | 
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Kapitel 112. Preis der Schönheit | |
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1111.     
    | 
Preis dir, Anicha! Du bist zart - zarter als du ist meine Liebe. | 
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1112.     
    | 
Siehst du Blumen, stehst du verwirrt da, mein Herz, und denkst, ihre Augen sind gleich diesen
  Blumen, die viele ansehen. | 
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1113.     
    | 
Ihr Körper ist zart, ihre Zähne sind Perlen, ihr Duft ist angenehm, und ihre
  bemalten Augen sind die Speere
  der Bambusschultrigen. | 
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1114.       | 
Könnte der blaue Lotus sehen, er beugte sich bis auf den Grund nieder und
  sagte: «Ich kann mich nicht
  vergleichen mit den Augen des vollkommenen, juwelengeschmückten Mädchens.» | 
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1115.       | 
Sie hat Anichablumen
  getragen, ohne ihre Stengel abzubrechen -
  keine günstige Trommel soll für ihre Hüfte geschlagen werden. | 
|  | |
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1116.       | 
Die Sterne werden verwirrt und können nicht mehr unterscheiden zwischen
  dem Mond und dem Gesicht
  dieses Mädchens. | 
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1117.     
    | 
Zeigt das
  Gesicht des Mädchens auch Flecken wie der
  leuchtende Mond, der ab- und zunimmt? | 
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1118.     
    | 
Preis dir, Mond! Auch du wärest wert, geliebt zu werden, wenn du scheinen
  könntest wie das Gesicht
  dieses Mädchens. | 
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1119.     
    | 
Möchtest du gleich dem Gesicht von ihr mit den blumengleichen Augen sein,
  Mond - erscheine nicht, um von so vielen gesehen zu werden. | 
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1120.     
    | 
Die Anicha
  und die Schwanenfeder sind wie die Früchte
  der Nerunji für die Füße der Frau. | 
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Kapitel 113. Erzählen
  vom Ruhm der Liebe | |
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1121.     
    | 
Das Wasser, das von den Zähnen derer mit weichen Worten springt,
  gleicht der mit Honig vermischten
  Milch. | 
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1122.     
    | 
Die Liebe
  zwischen mir und meinem Mädchen ist gleich dem, was zwischen Körper und Seele
  ist. | 
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1123.     
    | 
Du Abbild in den Pupillen meiner Augen, geh weg! - Es gibt keinen Ort für
  dich, meine Geliebte mit der schönen Stirn! | 
|  | |
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1124.       | 
Sie mit den
  erlesensten Juwelen gleicht der lebendigen
  Seele, wenn sie bei mir ist - und der sterbenden, wenn sie von mir geht. | 
|  | |
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1125.       | 
Sollte ich
  sie vergessen, erinnere ich mich wieder -
  aber ich habe die Eigenschaften derer mit den leuchtenden, kämpferischen Augen nicht vergessen. | 
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1126.       | 
Er geht mir nicht aus den Augen und fühlt sich nicht verletzt, wenn ich
  zwinkere - so fein ist mein Lieber. | 
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1127.     
    | 
Da der
  Geliebte in meinen Augen lebt, will ich sie nicht
  einmal bemalen, wenn er mich verließe. | 
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1128.     
    | 
Weil der Geliebte in meinem Herzen wohnt, fürchte ich mich, heiß zu essen
  - er möchte sonst verbrennen. | 
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1129.     
    | 
Ich zwinkere ihm nicht zu, damit er nicht verschwindet - deshalb sagt
  der Ort, ich sei unfreundlich. | 
|  | |
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1130.     
    | 
Mein Lieber wohnt glücklich in meinem Herzen - aber der Ort sagt, er sei
  unfreundlich und lebe getrennt von mir. | 
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Kapitel 114. Erzählen
  von der Preisgabe der Scheu | |
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1131.     
    | 
Für solche, die
  aus Liebe leiden, gibt es keine wirkungsvollere
  Hilfe als das Palmyrapferd. | 
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1132.     
    | 
Körper und Seele leiden und nehmen Zuflucht zum Palmyrapferd - sie haben die Scheu abgelegt. | 
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1133.     
    | 
Einst hatte ich eine gute Männlichkeit mit Scham - nun bin ich vor Liebe
  verrückt und gebrauche das Palmyrapferd. | 
|  | |
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1134.       | 
Der mächtige Strom der Leidenschaft riß das Floß der Männlichkeit samt der
  Scham mit sich fort. | 
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1135.       | 
Sie mit den
  girlandengleichen Armringen hat mir das
  Palmyrapferd aufgenötigt - und die abendliche, schmerzliche Pein. | 
|  | |
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1136.       | 
Ich habe fest
  vor, auf dem Palmyrapferd zu reiten, sogar
  zur Mitternacht - meine Augen schlafen nicht mehr, nur wegen dieses Mädchens. | 
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1137.     
    | 
Nichts ist
  größer als das weibliche Wesen, das nie auf
  einem Palmyrapferd reiten würde, wäre es auch in ein Meer der Lust gestürzt. | 
|  | |
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1138.     
    | 
Die Liebe kommt
  heraus, ohne sich zu verstecken, und denkt
  nicht daran, daß sie höchst keusch und hilflos ist. | 
|  | |
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1139.     
    | 
Meine Liebe dreht sich verwirrt in den Straßen und denkt, sie sei anderen
  nicht bekannt. | 
|  | |
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1140.     
    | 
Die Toren
  lachen mich vor meinen Augen aus – sie haben
  nicht erlitten, was ich erlitten habe. | 
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Kapitel 115. Offenbaren der Gerüchte | |
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1141.     
    | 
Mein kostbares Leben wird durch die Gerüchte der Leute erhalten - zum
  Glück wissen das viele nicht. | 
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1142.     
    | 
Durch Gerüchte gab sie mir dieser Ort, da er ihren Wert nicht kannte - sie mit
  den blumengleichen Augen. | 
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1143.     
    | 
Ist das Gerücht dieses Ortes nicht ein Gewinn - mir ist, als habe ich
  gewonnen, was ich nicht erworben habe. | 
|  | |
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1144.       | 
Meine Liebe verstärkt sich durch das Gerücht - ohne das Gerücht nimmt sie
  ab und verliert ihr Wesen. | 
|  | |
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1145.       | 
Wie Trinken durch Trinken immer reizvoller wird - Liebe wird reizvoller,
  wenn sie durchs Gerücht offenkundig wird. | 
|  | |
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1146.       | 
Ich sah ihn nur einen einzigen Tag, aber die Gerüchte verbreiten sich gleich der Schlange,
  die den Mond verschlingt. | 
|  | |
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1147.     
    | 
Mit dem Gerücht des Ortes als Dünger und den Worten der Mutter als Wasser
  wuchs diese Krankheit. | 
|  | |
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1148.     
    | 
Liebe
  gerüchtehalber auszulöschen heißt: Feuer mit
  Butterschmalz auszulöschen. | 
|  | |
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1149.     
    | 
Er bat mich, mich weder zu fürchten noch zu schämen, und ging weg -
  warum sollte ich mich vor Gerüchten fürchten? | 
|  | |
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1150.     
    | 
Der Ort verbreitet das Gerücht, das ich brauche - mein Geliebter stimmt mit
  meinem Wunsch überein. | 
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Kapitel 116. Nichtertragen der Trennung | |
|  | |
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1151.     
    | 
Verläßt du mich nicht, sag es mir - aber kommst du nicht schnell zurück,
  sag es denen, die dann noch leben. | 
|  | |
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1152.     
    | 
Allein sein Blick ist erfreuend - aber seine Umarmung ist schmerzlich, da
  ich Trennung fürchte. | 
|  | |
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1153.     
    | 
Vertrauen
  ist kaum möglich, da selbst der verständnisvollste
  Geliebte gelegentlich weggeht.  | 
|  | |
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1154.       | 
Verließe mich
  mein Geliebter, der einst sagte: «Fürchte
  dich nicht!» - wäre es ein Tadel für mich,
  die ich seinen Worten traute? | 
|  | |
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1155.       | 
Willst du mich retten, verhüte das Weggehen meines Geliebten - verläßt er mich, ist eine
  Vereinigung kaum wieder möglich. | 
|  | |
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1156.       | 
Ist er
  grausam genug, sein Weggehen anzusagen, so erfüllt sich die Hoffnung auf
  seine Rückkehr kaum. | 
|  | |
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1157.     
    | 
Würden nicht
  die Armreifen von meiner dünnen Hand
  gleiten und die Trennung von meinem Geliebten
  ansagen? | 
|  | |
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1158.     
    | 
Bitter ist das Leben an einem unfreundlichen Ort -schmerzlicher als das
  ist die Trennung vom Geliebten. | 
|  | |
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1159.     
    | 
Feuer brennt, wenn man es berührt - brennt es auch noch, wenn man es gleich der
  Liebeskrankheit beseitigt? | 
|  | |
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1160.     
    | 
Es gibt so
  viele, die dem Unmöglichen zustimmen: den Schmerz töten, die Trennung
  ertragen und doch weiterleben. | 
| 
Kapitel 117. Beklagen des Liebesschmerzes | |
|  | |
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1161.     
    | 
Ich
  verstecke den Schmerz, aber was nützt es - er quillt gleich einer Quelle
  denen, die sie ableiten wollen. | 
|  | |
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1162.     
    | 
Ich kann den
  Schmerz nicht verbergen - ihn dem zu
  sagen, der ihn verursachte, ist auch beschämend | 
|  | |
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1163.     
    | 
Liebe und Schmerz hängen an meinem Körper - gleich dem Tragholz vermag er
  das Leben nicht mehr zu ertragen. | 
|  | |
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1164.       | 
Es gibt nur das Meer der Leidenschaft - es gibt kein rettendes Floß zum
  Überqueren. | 
|  | |
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1165.       | 
Was will er den
  Feinden antun, der Schmerz in Liebe verursachte? | 
|  | |
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1166.       | 
Die Freude der Liebe ist so weit wie das Meer - aber der Schmerz der
  Trennung ist weit größer. | 
|  | |
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1167.     
    | 
Ich habe die heftige Flut der Leidenschaft durchschwömmen, habe aber kein
  Ufer gesehen - ich bleibe allein sogar zur Mitternacht. | 
|  | |
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1168.     
    | 
Die gnädige
  Nacht ließ alle Wesen einschlafen und hat
  keinen anderen Gefährten als mich. | 
|  | |
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1169.     
    | 
Die langen
  Nächte dieser Tage sind grausamer als die
  Grausamkeit des Grausamen. | 
|  | |
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1170.     
    | 
Könnten sie
  gleich meinem Denken zu seinem Ort gehen -
  meine Augen müßten in dieser Flut der Tränen schwimmen. | 
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Kapitel 118. Kummer durch das Begehren der Augen | |
|  | |
| 
1171.     
    | 
Warum weinen die Augen nun? - Ich bekam diesen unerträglichen Schmerz, weil sie Ausschau
  hielten. | 
|  | |
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1172.     
    | 
Die bemalten Augen, die ohne Vorhersicht schauten - warum leiden sie nun Pein, ohne nachzudenken? | 
|  | |
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1173.     
    | 
Sie schauten begierig auf ihn, aber nun weinen sie - das ist zum Lachen. | 
|  | |
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1174.       | 
Die bemalten Augen haben mir eine dauernde und unheilbare Krankheit
  eingebracht - nun können sie nicht mehr weinen, weil die Tränen vertrocknet sind. | 
|  | |
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1175.       | 
Die Augen, die mir eine Leidenschaft größer als das Meer einbrachten, leiden
  nun an Schlaflosigkeit. | 
|  | |
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1176.       | 
Wie erfreulich ist es - die gleichen Augen, die mir Schmerz brachten, werden nun
  vom gleichen Leiden befallen. | 
|  | |
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1177.     
    | 
Laß sie leiden und in Tränen vertrocknen – die Augen, die so brennend
  nach ihm ausschauten. | 
|  | |
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1178.     
    | 
Er ist hier,
  der mich mit Worten, aber nicht mit seinem
  Herzen liebte - meine Augen leiden, weil sie ihn nicht sehen. | 
|  | |
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1179.     
    | 
Sie schlafen nicht, wenn er nicht kommt, sie schlafen auch nicht, wenn er kommt - in beiden Fällen erleiden meine Augen große Pein. | 
|  | |
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1180.     
    | 
Es ist nicht
  schwer für die Leute des Ortes, hinter meine
  Geheimnisse zu kommen, da meine Augen einer geschlagenen Trommel
  gleichen. | 
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Kapitel 119. Fahlheit des Körpers | |
|  | |
| 
1181.     
    | 
Ich stimmte der
  Trennung von meinem Geliebten zu - wem soll
  ich das zuschieben, daß ich fahl wurde? | 
|  | |
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1182.     
    | 
Die Fahlheit ist überglücklich, weil er sie verursachte - sie ruht auf
  meinem ganzen Körper.  | 
|  | |
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1183.     
    | 
Meine Schönheit und meine Scham nahm er – als Gegengeschenk gab er Schmerz und Fahlheit. | 
|  | |
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1184.       | 
Ich denke und spreche nur von seiner Ausgezeichnetheit - ist diese Fahlheit nicht hinterhältig? | 
|  | |
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1185.       | 
Sieh, wie mich dort mein Geliebter verläßt – und hier breitet sich Fahlheit
  über meinen Körper aus. | 
|  | |
| 
1186.       | 
Gerade wie die Dunkelheit auf das Vergehen des Lichtes wartet - Fahlheit
  wartet auf den Abbruch der Umarmung meines Mannes. | 
|  | |
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1187.     
    | 
Ich lag in seiner Umarmung und ging ein wenig weg - Fahlheit füllte mich im
  selben Moment und bemächtigte
  sich meiner. | 
|  | |
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1188.     
    | 
Niemand sagt: «Er hat sie verlassen» - nur: «Sie wurde fahl.» | 
|  | |
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1189.     
    | 
Geht es dem
  gut, der mich von seinem Weggehen überzeugte
  - laß meinen Körper leiden und fahl werden. | 
|  | |
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1190.     
    | 
Lieber soll gesagt werden, ich sei fahl geworden, als daß sie ihn gnadenlos
  tadeln – meinen Geliebten,
  der mich von der Trennung überzeugte. | 
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Kapitel 120. Allein schmachtend | |
|  | |
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1191.     
    | 
Wer von denen geliebt wird, die sie lieben, ist gesegnet mit der kernlosen
  Frucht der Liebe. | 
|  | |
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1192.     
    | 
Die Liebe, die der Geliebte denen gibt, die ihn lieben, ist gleich der
  Wolke, die denen Regen gibt, die davon leben. | 
|  | |
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1193.     
    | 
Wer geliebt wird von denen, die sie lieben, hat den Stolz zu sagen: «Wir
  leben.» | 
|  | |
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1194.       | 
Wird sie nicht von dem geliebt, den sie liebt, ist sie ohne irgendeine
  Vortrefflichkeit, auch wenn sie von allen geliebt wird. | 
|  | |
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1195.       | 
Liebt mich der nicht, den ich liebe - was kann er für mich tun? | 
|  | |
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1196.       | 
Einseitige Liebe ist schmerzlich - Liebe ist erfreulich, wenn sie
  beiderseitig ist wie das Schulterholz. | 
|  | |
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1197.     
    | 
Kennt der Liebesgott keine Falschheit, keine Pein? - Er wohnt auf einer Seite. | 
|  | |
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1198.     
    | 
Keiner in der Welt ist so hartherzig wie der, der lebt, ohne seiner
  Geliebten angenehme Worte zu geben. | 
|  | |
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1199.     
    | 
Auch wenn mich mein Geliebter nicht liebt – jedes seiner Worte ist meinen
  Ohren angenehm. | 
|  | |
| 
1200.     
    | 
Gesegnet du, mein Herz! - Schließ das Meer des Kummers lieber ein, als
  deinen Schmerz einem Lieblosen zu sagen. | 
 
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